Archiv

Ein Beitrag zum Tag der Deutschen Einheit, 03. Oktober 2015

 

Kürzlich sprachen wir im Schwesternkreis über unseren Weg in die Zukunft. Selbstverständlich ging dabei auch der Blick in die Vergangenheit. Wir fragten uns unter anderem: Wie war die Präsens unserer Gemeinschaft in der Kirche Ostdeutschlands?

Bei unseren Recherchen entdeckten wir, dass bereits 1937 eine Schwester in Leipzig-Reudnitz als Seelsorgehelferin begann. Obwohl unser Herz-Jesu-Institut durch die Gestapo aufgelöst war, übernahm 1941 eine Schwester die Stelle der Seelsorgehelferin in Aue im Erzgebirge. Zur Pfarrgemeinde Aue gehörten damals 35 Ortschaften, 10 Krankenhäuser; an 17 Orten wurde Gottesdienst gefeiert...

 

Wie ging es mit unserer Mission nach Kriegsende in Ostdeutschland weiter?

 

Im Jahre 1949 bat der damalige Propst von Leipzig, Otto Spülbeck, um Schwestern unserer Gemeinschaft. Danach entwickelte sich zunächst ein reger Schriftwechsel. Die Realität, mit der die Schwestern konfrontiert wurden, verdeutlicht ein Brief von Propst Spülbeck an unsere langjährige Leiterin Schwester Clementine:

 

„…Ob die Schwestern die endgültige Zuzugsgenehmigung bekommen, ist eine Sache, die genau so ungewiss ist, wie alles hier ungewiss ist. Es gehört mit zu den Belastungen, die jeder hier auf sich nehmen muss, ständig in Unsicherheit und Ungewissheit zu leben. Es ist die gleiche Situation, wie sie Missionaren begegnet im fremden Lande. ... Hier ist Missionsland. Vom Staat aus sind wir unerwünscht, und so müssen wir mit dieser Situation kämpfen und rechnen. Hoffentlich ist das missionarische Interesse bei Ihnen so lebendig, dass Ihre Schwestern diese Unsicherheitsfaktoren als etwas Selbstverständliches in ihr Leben mit einbauen”.       

 

Schwester Clementine antwortete:

 

“...Wir sind uns völlig klar darüber, in welche Situation wir uns begeben, und nehmen von dem, wozu wir uns entschlossen haben, nichts zurück...”

 

Erst 1951/1952 konnte der Plan verwirklicht werden. Als unermüdliche Missionarinnen in der Bildung und Belebung der Gemeinden übernahmen fünf weitere Schwestern Aufgaben, die der Not entsprachen.

 

Zusammenfassend steht in einem Bericht von 1953 über die Tätigkeiten der Schwestern:

  • Eine Schwester ist "Pfarrhelferin" in Aue und zwei Außenstationen.
  • Eine Schwester besucht die Kranken in den Krankenhäusern und in der Pfarrei, verwaltet die Caritas-Spenden und besorgt den Schwesternhaushalt.

  • Eine Schwester arbeitet im Pfarrbüro, hat den Küsterdienst, die Reinigung der Kirche und Besorgung der Kirchenwäsche, hält in einer Außenstation Religionsunterricht und betreut eine Mädchengruppe.

  • Eine weitere Schwester ist Pfarrhelferin für Schneeberg und in der Nähe gelegene Orte.

  • Einer anderen Schwester obliegt die Fürsorgearbeit der Pfarrei und der Ausbau des Laien-Apostolates; sie hat die Müttergruppe und Religionsunterricht auf einer Außenstation. 

  • Eine Schwester steht in der Familienpflege und gibt auf einer Außenstation Religionsunterricht. Froh berichtete sie über ihre Arbeit. Sie sagte uns auch, dass jeder Tag ganz besonderen Einsatz fordere, und dass gerade die Familienpflegerin mit viel Umsicht, Klugheit und Gottverbundenheit ans Werk gehen müsse.

Die Schwestern erzählten von den weiten Wegen und den schwierigen Umständen, unter denen z. B. der Gottesdienst gefeiert werden konnte. Von einem Ort heißt es in einem Brief:

 

Stellen Sie sich bitte vor: auf dem Hinterhof den Produktionsraum eines kleinen Fabrikbetriebes: 4 Mauern, ein ziemlich flaches Teepappendach darüber, die eine Längswand fast ganz in Glas, etwa 250 Gartenstühle, das Mauerwerk feucht, der Raum unheizbar, Temperatur ungefähr wie draußen. In dieser kalten Armseligkeit kommen Sonntag für Sonntag über 200 Leute zusammen und sind so froh und dankbar, endlich einen eigenen, d.h. gemieteten Raum zu haben“.

 

Mit Mut und Bereitschaft nahmen die Schwestern die Herausforderungen an. Sie vertrauten auf Gottes Beistand und das unterstützende Gebet der ganzen Gemeinschaft. Besonders hilfreich erlebten Sie im Alltag das gute Miteinander.

 

Nachdem Bau der Berliner Mauer hatten unsere Schwestern (wie alle Bewohner der DDR), die noch nicht im Rentenalter - 60 Jahre - waren, keine Möglichkeit mehr, nach Westdeutschland zu reisen. Besonders schmerzlich war es ihnen, dass sie nun über viele Jahre auch keinen persönlichen Kontakt mehr zu anderen Mitschwestern und der Gemeinschaft in Germete haben konnten.

 

Der Fall der Mauer war auch für die Schwestern, die im Alter bereits nach Westdeutschland zurückgekommen waren, eine ganz tief empfundene Befreiung. Bis in ihre letzten Lebensjahre teilten sie uns immer wieder ihre Erlebnisse und Erfahrungen mit. Jetzt durften sie ja frei sprechen...

 

Wir sind dankbar, dass wir unsere Mitschwestern als Zeitzeuginnen erleben durften. Die letzte von ihnen, Sr. Odilia, verstarb 2013 im Alter von 100 Jahren im Seniorenzentrum St. Johannes in Warburg.

 

Die Schwestern von Germete

 

 

Schwester Franziska in Leipzig Schneeberg im Erzgebirge Schwester Odilia bei einer Volksmission in Schneeberg